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.Es ist dieGesellschaft, die das Begehren kanalisiert.Das Begehrenselbst verfügt über keine feste Form und passt sich demWandel gesellschaftlicher Bedingungen an.Deshalb lautet-144-der Titel des hier öfter zitierten Sammelbandes zurSexualität »Die Masken des Begehrens«92.Würde manseinen jeweiligen Erscheinungsformen die Maskeabreißen, käme darunter weder »reines« Begehren noch»natürliche« Sexualität zum Vorschein.Würde man demBegehren die Maske homosexueller Liebe und auchheterosexueller Liebe abnehmen, würde es eine Maskesodomischer Liebe aufsetzen und sich beispielsweise aufTiere ausrichten.Dieser Gedanke liegt gar nicht so fern,denn immerhin gaben in Kinseys spektakuläremSexualreport 17 Prozent amerikanischer Farmersöhne zu,sexuelle Kontakte mit Tieren gehabt zu haben.Verschließt man dem Begehren einfache Wege, setzt essich auf Umwegen durch.Die Kirchengeschichte ist vollvon neurotischen Entartungen, von lustvollerSelbstgeißelung der Mönche, von Nonnen, die gierig undselig das Waschwasser Aussätziger trinken, Fäkalienauflecken, Läuse und Dreck kauen, von leidenschaftlichenFolterungen und anderen kaum vorstellbaren Perversionenzur Ehre Gottes.Wer hierzu Näheres lesen will, sei anKarlheinz Deschners Buch »Das Kreuz mit der Kirche«93verwiesen.Die Geschichte zeigt, dass Begehren und sexuelle Lustnicht zu beherrschen sind, jedenfalls nicht folgenlos.Neben den gesellschaftlichen gibt es auch individuelleDimensionen der Leidenschaft, denn innerhalb desjeweiligen gesellschaftlichen Rahmens verbleibt eingewisser Spielraum zur Ausbildung eines individuellenBegehrens.Die individuelle »Struktur des Begehrens« (Dannecker)entsteht, wenn sich innerer Trieb und äußere Objekte zumersten Mal verknüpfen, also in frühen Lebenserfahrungen.Ist sie einmal entstanden, folgt die Sexualität desMenschen im späteren Leben dieser Vorlage wie einem-145-inneren Drehbuch.Was der Einzelne begehrt, seine sexuellen Wünsche,seine Leidenschaften, ist also in seinerIndividualgeschichte festgelegt.Ist das Drehbuch seinesBegehrens einmal verfasst, folgt er dessen Anleitungenund hat es daher nicht in der Hand, was ihn erregt und wasihm Befriedigung verspricht.Ob ein begehrenswerterSexualpartner dick oder dünn ist, wie er riechen soll, wieer aussehen und wie er sich verhalten soll, das alles kannnicht willkürlich bestimmt werden.Deshalb greift derMensch nicht nach dem Begehren, vielmehr ergreift dasBegehren ihn, sobald es durch einen inneren oder äußerenAuslöser wachgerufen wird.Man fühlt, sieht, riecht, denktoder hört etwas, das Begehren wacht auf und macht sichbegehrlich, begierig auf die Suche, den Hunger nach Lustzu befriedigen.Die triebhaften Aspekte der Sexualität, die Annahmeeines Lusttriebes und seiner Ausformung in einerindividuellen Begehrensstruktur, geben eine weitereErklärung für die Schwierigkeit, Sexualität auf Dauer inder Partnerschaft zur Verfügung zu haben.Weil dasBegehren individuell strukturiert ist, gehört es nicht dergemeinsamen Beziehung, sondern dem einzelnen Partner.Wie gut die Begehrensstrukturen beider Partner auf Dauerzueinander passen, muss sich jedoch erst zeigen.Die Tatsache, dass es einer christlich dominierten Kulturgelang, Sexualität zumindest vom Anspruch her der Ehezuzuordnen und sie zum Ausdruck partnerschaftlicherLiebe zu erklären, hat an diesen Abläufen nichts geändert.Denn heute, da der moralische und gesetzliche Rahmeneine drastische Erweiterung erfährt, weitet sich auch derBegehrensspielraum wieder aus und verlässt erneut, wieschon in den antiken Kulturen, die engen Schranken derPaarbeziehung.-146-Vielmehr scheint Sexualität oft aus der Beziehungausgelagert zu werden: weniger in erotischeAußenbeziehungen, das war eher Stil der siebziger Jahre,sondern zum Beispiel in die Masturbation.Selbstbefriedigung und Partnersexualität existieren heutefriedlich nebeneinander& Diese Tendenz ist auch beisolchen Männern und Frauen zu beobachten, dieBeziehung und gemeinsame Sexualität als befriedigenderleben.Für sie ist die Masturbation weder »Ersatz« nochKompensation, sondern eine Möglichkeitselbstbestimmter, frei verfügbarer, autonomer, heimlicherund durchaus erholsamer Sexualität.94Je weniger Verbote gelten und je mehr Wege sich öffnen,desto freier wählt das Begehren unter den verschiedenenMöglichkeiten seiner Befriedigung aus.Masturbation,Telefonsex, Partnertausch, Seitensprünge in organisierter(Seitensprungagenturen) und spontaner (Urlaub) Form,Swingerclubs, Pärchenparties, Fetischparties, Cybersex&wer will da noch von einem »natürlichen« Sexualverhaltensprechen; und den moralischen Zeigefinger zu hebenändert an der Entwicklung nichts, selbst wenn man gewilltist, den überwiegenden Teil der Bevölkerung für sexuellpervertiert zu halten.Nun sind Experten schnell dabei zubehaupten, solche sexuellen Aktivitäten seien bar jederLiebe.Doch auch der Lusttrieb ist in der Lage, starkeherzliche Verbindungen zum Objekt der Begierdeherzustellen.Die »brennende« Liebe ist ebenfalls Liebe.Menschen können sich lieben, ohne sich im Alltag zuverstehen.Sie können leidenschaftliche und liebevolleSexualität miteinander erleben, ohne deshalb alsLebenspartner füreinander geeignet zu sein.Sie könnensich schlicht und einfach als Sexualpartner lieben.Deshalb ist die Behauptung, wer sich partnerschaftlich-147-liebt, muss sich zugleich auch sexuell begehren, weil diepartnerschaftliche Liebe der Sexualität als Ausdrucksformbedarf, aus dem Blickwinkel von Lusttrieb und Begehrenvöllig aus der Luft gegriffen.Und der Umkehrschluss, wersich nicht begehrt, liebt sich demnach nicht, entbehrt ganzund gar jeder Grundlage.Warum sollte der Lusttrieb nacheinem Eheschein fragen? Er wird die begehrte Person auchohne diesen lieben.Transpersonale Aspekte von SexualitätBetrachten wir das Phänomen Sexualität nun unter einemanderen Aspekt, dem der Leidenschaft.Das veralteteKonzept des Sexualtriebes erklärt Sexualität durch einenvon Zeit zu Zeit nötigen Spannungsabbau.Menschenwerden demnach sexuell aktiv, um einen organischenÜberdruck loszuwerden, der ihnen vomFortpflanzungsdrang aufgebürdet wird
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